Ein Gespräch mit Hans Burkhardt

Vor einiger Zeit besuchte uns die Bloggerin Anna Niestroj aus Berlin. Anna führt das Studio Blinkblink in Berlin Wedding und hat uns in Sachen Social Media beraten. Bei einem ihrer Streifzüge durch die Binderei führte sie ein Interview mit dem 71-jährigen Hans Burkhardt. Hans Burkhardt hatte die 1941 gegründete Firma im Jahre 1973 von seinem Vater Albert übernommen und ist heute im Verwaltungsrat tätig. Enstanden ist ein Gespräch über Bücher, das Internet, über das Lesen, das Leben, die Arbeit, Reisen und die Zukunft.

Viel Spass beim Lesen!

Erlernter Beruf?

4-jährige Ausbildung als Buchbinder in Neuchâtel / CH. Anschliessend 4 Wander- und Gesellenjahre in Paris, London und Rom. Zusätzlich eine 4-jährige Ausbildung als Betriebsökonom.

Ausgeübter Beruf?

Buchbinder und Geschäftsführer der Buchbinderei Burkhardt von 1969 bis 2005.

Lesen oder Anschauen?

Anschauen. (Bilder!)

Hochformat oder Querformat?

Lesen: Hochformat
Anschauen: Querformat

Wo lesen sie am Liebsten?

An einem Tisch sitzend.
Sicher nicht liegend, nicht am Strand und nicht im Bett.

Wie lesen Sie am Besten?

Ehrlich: Ich lese kein ganzes Buch pro Jahr.

Ich lese etwa 2 Stunden am Tag – meistens Zeitungen und Magazine.

Zum Lesen benötigt man Konzentration. Die finde ich beispielsweise während einer Zugfahrt, weil ich dann eine vorgesehene Zeit nur für mich habe. Wenn ich lese, bin ich lieber alleine oder in Ruhe.

Wissen Sie, wieviele Bücher Sie besitzen?

Das weiss ich natürlich nicht.

Sehr viele. Sehr, sehr viele.

Hier ist eine Schätzung angebracht.

Zunächst trenne ich meine Sammlung beruflich und privat.

Jedes einzelne im Betrieb hergestellte Buch geht über meinen Tisch und wird auf Mängel oder seine Besonderheit überprüft. Ich lese diese Bücher nicht, ich verschaffe mir lediglich einen Eindruck, worum es inhaltlich in etwa geht. Manche Bücher betrachte ich nur 2 Sekunden – andere vielleicht 30. Die besonders Besonderen (wöchentlich werden etwa 20 Titel produziert) kommen in die Sammlung: ins sogenannte Bindorama. Dort – im Empfangsbereich platziert – befinden sich zurzeit etwa 2000 Bücher. Nicht nur welche, die wir hier hergestellt haben, sondern auch viele buchbinderisch interessante Exemplare, die ich kontinuierlich auf meinen Reisen entdecke und mitbringe. Der Inhalt ist mir da fast egal. Mich fasziniert das Buch als Objekt – ich habe Freude am Außergewöhnlichen. Ich liebe es, wenn ein Buch das scheinbar Unmögliche möglich macht. Ein Buch ist für mich nicht nur ein industrielles Produkt – es ist ein Kulturgut.

Können Sie drei Lieblingsbücher nennen?

Ich habe über die Jahre unzählig viele Bücher angesehen. Ich kann diese Frage kaum beantworten. Ich habe eine ehrliche und verinnerlichte Faszination für Bücher. Jedes zweite Buch des <link inspiration-beratung bindorama _blank>Bindorama ist mein Lieblingsbuch. Ich habe Freude am Schönen und Freude am Speziellen. Und ich denke das ist ansteckend.

Auch muss ich bei meinen Lieblingsbüchern eine Unterscheidung machen zwischen dem Inhalt und der Bindung. Als junger Mann habe ich die Erzählung „Narziss und Goldmund“ von Hermann Hesse etwa drei Male gelesen, weil sie mich so fasziniert hat. Ansonsten liebe ich komische und schräge Bücher. Und Bücher von Künstlern.

Wenn Sie nur ein Buch besitzen dürften, welches wäre das?

The Book of Kells.Ein Faksimile.
Wir haben hier 10 Jahre damit verbracht, 1500 Stück davon per Hand zu fertigen.

Reisen sie mit Büchern? Wenn ja, mit wie vielen?

Ja, mit circa 5 Büchern.
Außerdem habe ich auf Reisen auch immer ein Tagebuch dabei.

Besitzen Sie ein Ipad oder Kindle?

Ja ich besitze ein iPad. Ich lese darin Zeitung, allerdings nur in den Ferien oder von unterwegs. Und ich nutze es zum mailen. Ich bin immer und am Besten per Mail zu erreichen und antworte in der Regel innert weniger Stunden. Ich empfinde es als ein sehr präzises und klares Kommunikationsmittel.

Welche Hobbies pflegen Sie?

Hier muss ich gestehen, dass die Arbeit mein Hobby ist. Wobei ich das Wort „Arbeit“ auch in Anführungszeichen stellen muss. Denn was heisst schon „arbeiten“? „Arbeit“ kann alles sein: Gartenarbeit, Wäsche waschen, Alltag bewältigen und so weiter.

Ich habe gerne Projekte: da gibt es einen Anfang, einen Verlauf, einen Abschluss und ich kann mich im Anschluss etwas neuem zuwenden.

Vor etwa 10 Jahren – bei Geschäftsübernahme der Buchbinderei durch Thomas Freitag – musste ich lernen meinem Leben einen neuen Inhalt zu geben: meine Aufmerksamkeit auf etwas anderes als das Geschäft zu verschieben. Das war nicht leicht. 38 Jahre lang habe ich nur zwei Male im Jahr Urlaub gemacht: eine Woche im Winter, zwei Wochen im Sommer. Neben Frau und Familie war das Geschäft mein Leben. Ich habe also damit begonnen viel mehr zu reisen, um mich vom Betrieb ablenken und lösen zu können. Seither nehme ich regelmässig an „Long Distance Oldtimer Rallyes“ teil. Diese Aktivität konnte mich auch außerhalb meines Geschäftes faszinieren. Ich leite mittlerweile den Verein CCE (Classic Car Event) und wir fahren regelmässig für 2 Monate mit alten Autos verschiedene Strecken auf der ganzen Welt. Im Jahr 2007 fuhr ich beispielsweise mit einem Volvo 122 S Baujahr 1965 von Peking nach Paris. Zuletzt waren wir in Kambodscha. Bei den Rallyes geht es nie um die Geschwindigkeit, sondern immer um das Erlebte auf dem Weg. Es gibt auch kürzere Rallyes von drei bis vier Tagen, wo man diverse Prüfungen erfüllen muss.

Ich mache und gestalte einfach gerne verschiedene Sachen. Ich habe zu viele Ideen – ich umgebe mich gerne mit Menschen. Ich gehe Segeln, Ski fahren, Wandern, Fotografieren und all diese Dinge. Vielleicht muss ich lernen nichts zu tun und mich an meinem Tisch festzuhalten, aber ich befürchte das geht nicht. Nicht zuletzt genieße ich nämlich auch die Zeit mit meiner Familie und meinen Freunden.

Was lieben sie an der Schweiz? Haben sie einen Lieblingsort?

Neben der Berge: Unser Zuhause. Wir haben viel Licht im Haus und ich habe dort gemütliche Ecken, wo ich mich wirklich sehr wohl fühle.

Wie stellen Sie sich die Zukunft vor?

Ich denke, dass jede Generation ihre Probleme selber lösen muss. Ein Aspekt, dem ich mit Besorgnis entgegensehe, ist der Umweltfaktor. Wir Menschen müssen ein größeres Bewusstsein für Nachhaltigkeit und Ressourcennutzung entwickeln. Wir müssen lernen mehr Sorge für das Klima, für die Umwelt, die Nahrung und die Luft zu tragen. Die Welt sollte nicht übernutzt werden. Ich habe an diesem Punkt Angst um die Folge-Generationen und dass die Zerstörung der Welt ab einem gewissen Punkt irreversibel sein wird.

Tatsache ist ja, dass sich die Menschen auf der Welt ständig die Köpfe einschlagen. Man könnte meinen, wir hätten aus der Vergangenheit etwas gelernt, aber dem ist nicht so. Die wichtigste Aufgabe für jede Generation sollte es sein für Frieden und ausreichend Nahrung zu sorgen. Am Ende bleibt der Mensch doch immer nur ein Mensch. Aber ich glaube daran, dass wenn der Leidensdruck groß genug ist, stets Mittel entwickelt werden, die die falschen Dinge zum Besseren korrigieren.

Grundsätzlich bin ich ein Mensch, der sehr stark in der Gegenwart lebt, pragmatisch und mit viel Kraft für das Positive. Ich verstehe nicht viel von den neuen Technologien und kann mir auch nicht mehr wirklich vorstellen, wohin sie die Menschheit führen werden. Ich bin aber offen für das, was kommen mag.

Können Sie einen Hochpunkt und einen Tiefpunkt ihres Unternehmens nennen?

Gut, dass sie fragen. Es gab tatsächlich eine Phase in meinem Leben bzw. bei Bubu, in der ich nicht mehr an die Zukunft glauben wollte. Das war im Jahr 1994 / 95. Es gab hier zu jener Zeit immer weniger zu tun und das hat mich grausam unter Druck gesetzt. Ich habe irgendwann nicht mehr an das Produkt Buch glauben wollen und dachte, dass es sinn- und nutzlos geworden wäre, Bücher herzustellen. Ich erinnere mich noch ganz genau an den einen Tag in der Kantine, als ich meinen Mitarbeitern mitteilen musste, dass wir Kurzarbeit einführen. Das war ein schrecklicher Moment in meinem Leben. Ich habe mich für jeden Einzelnen im Betrieb persönlich verantwortlich gefühlt. (Zu der Zeit etwa 100 Mitarbeitende.)

Ein Hochpunkt kam dann 10 Jahre später 2004, als wir in unserem Betrieb das Fotobuch eingeführt und die Bookfactory gegründet haben. Ab dem Moment habe ich es wieder gespürt: Die Hoffnung und den Glauben daran, dass es einen Weg für uns gibt.

Momentan empfinde ich es als grosses Glück, dass ich immer noch jeden Morgen hierher kommen kann, dass ich alles mitverfolgen darf und dabei bin, wenn etwas Neues passiert. Das würde ich gerne bis zu meinem 80sten Lebensjahr so durchziehen. Ich liebe es einfach zu sehr mitten im Geschehen zu sein und genieße den Druck der Beschäftigung. Ich kann es nicht leiden, wenn die Maschinen still stehen.

Interview und Fotos: Anna Niestroj